Engin – Mesafeler Tour 2024 | Hannover | 2024
Die deutsch-türkische Indie-Band ENGIN aus Mannheim huldigt den Legenden aus dem Anadolu Rock mit einem Coveralbum. Auf “Mesafeler” spielen sie sieben Klassiker der türkischen Popmusik neu ein.
Eigentlich begann alles mit einem einzigen Lied. Engin Devekiran, Sänger, Gitarrist und Namensgeber der Band ENGIN, hörte vor einigen Jahren den Song “Resimdeki Gözyaşları” (“Die Tränen auf dem Bild”) von Cem Karaca, ein dramatisches Lied übers Vermissen. Wegen Karacas einfühlsamer Stimme resonierte das Lied mit Engin, obwohl er am Anfang den türkischen Songtext gar nicht so richtig verstand. Aber er fühlte eine Verbundenheit zum Anadolu-Rock-Musiker Cem Karaca. Der lebte für sieben Jahre in Deutschland und sang mit “Die Kanaken” in den 80ern auf Deutsch über die Situation der türkischen Gastarbeiter*innen. Ein sprachliches Spiegelbild zu Engin, der als Deutscher mit türkischer Abstammung nach dieser Hörerfahrung die Entscheidung traf, auf türkisch zu singen: Eine Sprache, in der er sich nicht so wohlfühlt wie in seiner ersten Muttersprache, aber die ihm sehr wichtig ist. Engin möchte als Kindeskind der Gastarbeitergeneration nicht den Bezug zu seiner Herkunft verlieren. Für seine Band ENGIN war daher ein Cover von Cem Karaca unverzichtbar auf der Platte. Auch für Schlagzeuger Jonas Stiegler und Bassist David Knevels eröffnete sich damit eine neue musikalische Welt. Sie trauen sich, die Backing-Vocals auf Türkisch zu singen.
Von Mannheim nach Istanbul
Diese Art von Musik machen alle drei schon ein Album länger. ENGINs erstes Album “Nacht” aus dem Mai vergangenen Jahres stand schon im Zeichen des Anadolu-Rocks, jener psychedelischen Rockmusik der 70er-Jahre, die auch über die türkischen Landesgrenzen hinaus Berühmtheit erlangte. Auf “Nacht” hat Engin aber hauptsächlich noch auf Deutsch gesungen. Erst danach fing die Band an, türkische Songs zu covern und jeden Montag auf Instagram zu posten. Was eigentlich für ihr deutsches Publikum gedacht war, spülte der Algorithmus in die Türkei. Dort gewannen Engin, Jonas und David zu ihrer eigenen Überraschung viele Fans und spielten letztes Jahr gleich drei gefeierte Shows in Istanbul. Der Wunsch eines Coveralbums wuchs. Voller Vorfreude haben sie sich allerdings erst viel zu spät um die geschäftliche Seite mit den Urhebern der Songs gekümmert – doch sieben Klassiker konnten sie am Ende aufs Albums bringen.
Hommage und Rückbesinnung
“Mesafeler” soll eine Hommage an türkische Musik sein und schließt an die lange Tradition des Coverns in der Türkei an. Auch in “Gurbet” fand sich Engin wieder: Der Song handelt von Heimweh und Alleinsein in der Fremde. Er stammt aus einer Zeit, in der türkische Arbeitsmigrant*innen nach Deutschland kamen. Ihr Cover ist nicht so folkloristisch wie das Original, sondern eher poppig mit wuchtigen, rockigen Instrumentalparts. Dass nun die nächste Generation diesen Song von Deutschland aus performt, gibt “Gurbet” eine neue Dimension und wirkt wie eine Rückbesinnung und ein Dank an die vorangegangenen Pioniere.
Distanzen überbrücken
“Mesafeler” bedeutet “Distanzen” und möchte diese auf viele Weisen abbauen: Die sprachlichen und kulturellen sind offensichtlich, geografische Distanzen kommen auch dazu, sagt Engin lachend, weil sie mit dem Auto zur Tour nach Istanbul gefahren sind. Aber Engin überwindet auch einige Distanzen in sich, auf seiner Suche nach seiner eigenen Identität. Erst war er ein wenig befangen wegen seines deutschen Akzents, aber heute singt er diese Lieder laut, ohne Scham. “Mesafeler” beweist, dass junge deutsch-türkische Musik auch handgemacht sein kann und nicht allein in der Rap- und HipHop-Szene verortet ist und dass sich immer mehr Ohren spitzen für den rockigen, psychedelischen Sound der Türkei.
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